Flexible Seating: Lernen in Bewegung bringen

Stühle auf Rollen, Bodenkissen und Stehtische statt starrer Tischreihen – das Konzept des „Flexible Seating“ hält zunehmend Einzug in Klassenzimmer. Was auf den ersten Blick wie ein Designtrend wirkt, ist in Wirklichkeit Ausdruck eines tiefgreifenden Wandels im pädagogischen Verständnis von Lernen und Raum.

Vergleich traditioneller Klassenraum flexible Möblierung

Was bedeutet Flexible Seating?

„Flexible Seating“ beschreibt eine Lernumgebung, in der Schülerinnen und Schüler nicht mehr an einen festen Platz gebunden sind. Stattdessen stehen ihnen verschiedene Arbeitsplätze zur Verfügung, die sie je nach Aufgabe, Bedürfnis oder Stimmung wählen können: klassische Tische, Gruppentische, Einzeltische, Sitzsäcke, Teppiche, Stehpulte oder bewegliche Hocker. Die Vielfalt der Plätze ermöglicht unterschiedliche Körperhaltungen und Sozialformen – und fördert damit differenzierte Lernsettings.

Im deutschsprachigen Raum wird meist von „flexiblem Mobiliar“ oder „variablen Lernlandschaften“ gesprochen. Die Grundidee bleibt: Lernen braucht Bewegung, Wahlfreiheit und passende Umgebungen.

Warum überhaupt flexibel?

Flexibles Mobiliar ist keine Spielerei, sondern folgt einer klaren pädagogischen Logik. Studien zeigen: Bewegungsmangel wirkt sich negativ auf Konzentration, Motivation und Gesundheit aus. Gleichzeitig wissen wir, dass Lernprozesse individuell verlaufen – und nicht alle Kinder im gleichen Tempo, auf die gleiche Weise oder im gleichen Setting gut lernen.

Flexible Seating setzt genau hier an: Die Lernumgebung soll sich an die Lernenden anpassen, nicht umgekehrt. Wer sich konzentrieren will, sucht sich einen ruhigen Einzelplatz. Wer in der Gruppe arbeiten möchte, findet einen passenden Tisch. Wer lieber im Liegen liest oder im Stehen schreibt, kann dies tun – ohne den Raum wechseln zu müssen.

Neue Lernkultur braucht neue Räume

Flexible Seating ist eng verknüpft mit einer Öffnung des Unterrichts: Individualisierung, selbstgesteuertes Lernen und kooperative Formate lassen sich nur schwer in einem starren, frontal ausgerichteten Raum umsetzen. Umso wichtiger ist es, dass auch die Raumgestaltung die gewünschte Lernkultur unterstützt.

Das bedeutet nicht zwangsläufig teure Investitionen. Schon kleine Veränderungen – wie mobile Tische, leicht stapelbare Stühle, zusätzliche Sitzgelegenheiten oder die Möglichkeit, Arbeitsorte zu wechseln – können eine große Wirkung entfalten. Entscheidend ist die Haltung dahinter: Flexibilität beginnt nicht beim Möbelkauf, sondern in der Überzeugung, dass Lernen beweglich, differenziert und selbstbestimmt sein darf.

Herausforderungen in der Praxis

Die Einführung von Flexible Seating ist kein Selbstläufer. Viele Schulen berichten von typischen Herausforderungen:

  • Orientierung geben: Nicht alle Kinder können mit Freiheit gut umgehen. Klare Regeln und Rituale helfen, Orientierung zu schaffen: Wo beginnt der Tag? Wie wechsle ich den Platz? Wie ist mit Lautstärke oder Materialnutzung umzugehen?
  • Verantwortung übertragen: Flexible Seating bedeutet, Verantwortung an Schülerinnen und Schüler zu übergeben. Das funktioniert nur, wenn sie schrittweise lernen, mit Wahlmöglichkeiten umzugehen – und die Lehrkraft ihnen dabei zutraut, gute Entscheidungen zu treffen.
  • Raumlogistik bedenken: Bewegliche Möbel brauchen Platz. Die Laufwege müssen frei bleiben, Materialien gut erreichbar sein, Stauraum clever organisiert werden. Auch Aspekte wie Akustik und Sichtbeziehungen spielen eine Rolle.
  • Teamabsprachen treffen: Wenn Räume gemeinsam genutzt werden, braucht es klare Absprachen im Kollegium. Wer darf was verändern? Wie wird aufgeräumt? Welche Standards gelten?

Gute Gründe für den Wandel

Trotz aller Herausforderungen überwiegen die positiven Erfahrungen vieler Schulen. Sie berichten von:

  • gesteigerter Motivation und mehr Eigenverantwortung,
  • besserer Konzentration durch passende Lernorte,
  • einer entspannteren Lernatmosphäre,
  • positiven Effekten auf Klassenklima und Sozialverhalten.

Besonders Kinder mit erhöhtem Bewegungsdrang oder Unterstützungsbedarf profitieren oft sichtbar von der Möglichkeit, sich je nach Bedürfnis zu positionieren.

Flexible Seating ist mehr als Möbel

Flexible Seating ist kein Möbelsystem, sondern Teil einer veränderten Lernkultur. Es geht um die Verbindung von Raum, Pädagogik und Haltung. Schulen, die sich auf diesen Weg machen, sollten sich deshalb vor allem diese Fragen stellen:

  • Welche Art von Lernen möchten wir ermöglichen?
  • Welche Formen von Bewegung, Rückzug, Kooperation sollen Raum bekommen?
  • Wie gestalten wir Übergänge, Struktur und Verlässlichkeit trotz Flexibilität?
  • Welche Räume haben wir – und was lässt sich mit einfachen Mitteln verändern?

Denn nicht jeder Raum muss neu gebaut werden. Viel lässt sich auch im Bestand erreichen – durch das Umstellen von Tischen, die Einführung von Lernzonen oder den bewussten Einsatz von mobilen Elementen. Entscheidend ist der Mut, gewohnte Routinen infrage zu stellen.

Fazit

Flexible Seating eröffnet neue Möglichkeiten für differenziertes, selbstbestimmtes Lernen. Es bringt Bewegung in den Unterricht – im wörtlichen wie im übertragenen Sinne. Wer flexible Lernumgebungen gestaltet, schafft Räume, in denen Kinder sich nicht nur körperlich, sondern auch geistig bewegen dürfen. Und genau das brauchen zeitgemäße Schulen heute mehr denn je.

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